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Pripfl-Prozess – Urteil in erster Instanz

Posted in Strafprozesse by rotlichtwien on 11. Februar 2011

Wiener Anwalt Karl Bernhauser, 70: Begann in den Goldenen Siebzigern als Verteidiger bei der Wiener Anwaltslegende Hermann Gaigg, war später bei der Hermann Gahleitner, kennt viele alte Geschichten und hat nun viel Arbeit. Der Pripfl-Prozess ging nicht so aus, wie er es sich erhofft hatte. (Foto: Oswald, 11. Februar 2011)

(LG Wien, am 12. Februar 2011) Wenn man einen Strafprozess zwölf Tage lang und jemanden 45 Stunden bei seinem Gerichtsauftritt beobachtet, entsteht eine persönliche Beziehung. Das ist verständlich, weil umfassende Prozesse nicht Blitzprozesse sind, die zwei Stunden dauern und gleich wieder vorbei sind. Bei Lang-Prozessen am Strafgericht gibt es Prozesspausen, in denen man ins Gespräch kommt. Zwölf Tage sind viel Zeit. Dennoch ergeben sie nur einen kleinen Ausschnitt aus einem bewegten Leben eines angeklagten Kriminalpolizisten. Ein Gericht filtert nur einige Sachverhalte heraus und löst sie rechtlich. Im Fall des Gruppenleiters der Kriminaldirektion Wien Franz Pripfl sind das die letzten drei Berufsjahre von 27 Polizeijahren. Das Bild auf den Menschen, das entstehen kann, bleibt verzerrt und Bruchwerk. Man muss das als Beobachter zur Kenntnis nehmen und bleibt in Maßen neutral. Beim Strafgericht ist nie „der Mensch“ angeklagt, sondern ein kleiner Deliktzeitraum. Natürlich sitzen aber im Publikum bei solchen Prozessen rund um „Unterwelt“ immer wieder Leute, die ihre parteilichen Emotionen auf der polierten Stirn tragen und ein Urteil als generelle Abrechnung sehen.

Signale

Heute am frühen Morgen hatte der Berichterstatter kein gutes Gefühl. Begleitet man einen Prozess länger, über Wochen, wird es kurzzeitig „wie ein eigener Prozess“. Es gibt vor einem Urteilstag innere Unruhe, Anzeichen und Signale. Natürlich meint jeder Angeklagte, der nur alle heiligen Zeiten vor einem Strafgericht steht, er werde logischerweise komplett freigesprochen. Der Berichterstatter hat in den letzten vier Jahren österreichweit, mit Schwerpunkt Wien, rund 300 Strafprozesse vom Eröffnungswort bis zur bitteren Neige, den Urteilen, beobachtet. Die Absichten der Angeklagten sind immer gleich: Sie wollen die Anklageschrift abschütteln. Das geschieht mit unterschiedlichen Methoden. Erinnert sei an den vor einem Jahr von Manfred Ainedter vertretenen Ernst Strulovics, der einen viertägigen schweren Betrugsprozess hatte. Es ging um fünf Millionen unterschlagenes Geld. Der Angeklagte bekannte sich vier Tage konsequent nicht schuldig. Dreißig Minuten (!) vor Prozessende stand Manfred Ainedter auf und sagte: „Mein Mandant will seine Verantwortung ändern. Er bekennt sich vollinhaltlich schuldig.“ Staunen, Akzeptanz, rasches Prozessende. Urteil: 10 Monate Haft. Entlassung aus U-Haft. Alle waren zufrieden. Hätte das der Verteidiger nicht getan, wären es drei Jahre unbedingte Haft geworden. Es sind oft viele Verfahrenstricks am Strafgericht im Spiel.

Orakel

Trotz langjähriger Prozessbeobachtung kann man sich natürlich irren. Das „Orakel“ kann fehlgehen und manchmal nicht. Beim damaligen Polizeischützen Jankovic, der in Ottakring dem Wiener Streifenpolizisten, der nur zwei Straßen vom Autor wohnhaft ist und in der Stammtrafik einkaufen kommt, drei Kugeln verpasste, tippte das Orakel während des Strafprozesses auf „12 Jahre“. Geworden sind es 13 Jahre Haft. Eine Kugel steckt dem Mann noch immer zwischen den Wirbeln (sein Anwalt rechnete mit drei Jahren wegen Fahrlässigkeit). Beim Prag-Mord rund um Mario Schaller tippte der Autor dieser Zeilen nach einem sehr mühseligen Prozess mit geladenen tschechischen Kieberern, die tiefen Einblick in die Arbeitsmethode im Osten gaben, auf „13 Jahre Haft“. Die Höchststrafe in Tschechien für Mord wäre 15 Jahre. Geworden sind es 13 Jahre Haft (sein Anwalt Bischoff ging auf Freispruch, dann in Nichtigkeit und Berufung; vorige Woche bestätigte der OGH die 13 Jahre.) Im Josef Fritzl-Prozess tippte der Autor dieser Zeilen bereits acht Monate vor dem Prozess auf Lebenslang plus Massnahme, beim Luca I-Prozess in Korneuburg gegen Fritz Dorazil tippte der Autor dieser Zeilen ebenso während des Prozesses auf Lebenslang plus Massnahme, beim Jürgen Kasamas-Prozess während des Prozesses auf Höchststrafe als Junger Erwachsener plus Massnahme (es wurden 20 Jahre plus Massnahme). Bei all dem, Beispiele aus der Schwerkriminalität, saß man mit den Leuten in einem Raum, studierte sie, sah sie an, hörte sie sprechen, dachte sich seinen Teil, blieb „UNO aus Genf“, parteifrei, unabhängig. Das „Orakel“ lag durchwegs richtig. Man kann natürlich irren. Die Wahrscheinlichkeit neben das Ziel zu schießen wie österreichische Schützenpanzer in Allentsteig, sinkt aber mit jedem weiteren Prozess, den man begleitet. Man schrieb heute um 7 Uhr 30 morgen vor dem Wegfahren aus seiner Wohnung (der Prozesstag begann bereits vorgezogen um 8 Uhr 30) die Zahl 15 auf seinen Block. Daneben das Wort: „bedingt“.

Vier Freisprüche, neun Schuldsprüche

Der Wiener Chefinspektor Franz Pripfl, 57, wird heute um 15 Uhr 00 im Landl zu 18 Monaten bedingt verurteilt. Die Urteilsbegründung endet um 15 Uhr 40. Er wird in vier Punkten freigesprochen, aber in neun Punkten verurteilt. Es wird festgehalten, dass in allen Punkten keine persönliche Bereicherung stattgefunden hat, mit Ausnahme von Überstunden in der Höhe von rund 200 Euro. Die Richterin Irene Mann macht eine sehr abrundende, ausgewogene Urteilsbegründung, in der sie mit großem Bedauern festhält, dass das Urteil so kommen musste: „Das Gericht ist überzeugt, dass Franz Pripfl in der Vergangenheit sicher auch ausgezeichnete Polizeiarbeit geleistet hat.“ Der Staatsanwalt bizzelt, will mehr und geht in „Nichtigkeit und Berufung“. Der Angeklagte ist momentan etwas baff und erwägt in Rücksprache mit den Anwälten Karl Bernhauser und Andreas Duensing „drei Tage Bedenkzeit“. Es war für Gerichtsbeobachter von Beginn klar, dass dieser Gerichtsfall in seiner Komplexität eine „Instanzgeschichte“ wird. Werden Punkte freigesprochen, geht der Ankläger „drauf“. Rutscht das Urteil über die für Beamte sensible Grenze „12 Monate“, geht der Angeklagte „drauf“. Somit ist der Fall an die höhere Instanz delegiert. Rechnet man die Sommerpause ab, kann man mit einem Berufungsprozess Mitte September 2011 im Wiener Justizpalast rechnen.

Teilgeständnis fehlte

Die Richterin bedauert im Urteil, wörtlich: „Der Strafrahmen ist sechs Monate bis fünf Jahre. Und das ist, das muss ich ehrlich sagen, das Drama an dieser Sache. Denn, Herr Pripfl, die Strafe wäre ganz anders ausgefallen, wenn Sie sich nicht zu jedem Anklagepunkt teilweise unglaubwürdig verantwortet hätten, wo die Beweislast erdrückend war. Das Geständnis wäre ein Milderungsgrund gewesen.“

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Die Eckdaten:
Dauer: 12 Prozesstage (45 Verhandlungsstunden)
Zeugen: 58 (nach Zählung dieses Journals)
Milieuzeugen: 2/3 („Mit der Verlässlichkeit und Glaubwürdigkeit von Zeugen steht es schlecht. Viele freuen sich, dass der Herr Pripfl da sitzt.“ – Richterin kritisch im Schlusswort)
Behördenzeugen: 1/3 (kamen alle, wurden aber von der Richterin teilweise als nicht brauchbar eingestuft und zu Ungunsten von Pripfl gegeneinander ausgespielt, etwa Frühwirth/Schaffer – KD 1 gegen Plechtov/Weber – BK)
Nichterschienene Zeugen: 12
Plädoyer Ankläger Wolfgang Wohlmuth (aus Laptop): 1 Stunde 45 Minuten
Plädoyer Anwalt Karl Bernhauser (frei gesprochen): 1 Stunde (Zitate: „Bei der Kriminalpolizei herrscht net gerade das Spanische Hofzeremoniell“; Zur Sperrliste: „Natürlich gibt es Spannungen im Bereich Kriminalpolizei und Sicherheitswache: Die Sicherheitswache san die Uniformierten. Die Kriminalbeamten erachten das als Nachkommen der Nachtwächter. Hingegen sehen sich die Kriminalbeamten als Taschenformat James Bond.“
Durchdringung der Anklage: 9 von 13 Punkte (69,23 %)
Rechtsmittel Ankläger: Nichtigkeit und Berufung (sofort angemeldet)
Rechtsmittel Anwalt: Drei Tage Bedenkzeit!

Marcus J. Oswald (Ressort: Strafprozesse) – 11. Februar 2011, Saal 203, 8 Uhr 30 – 15 Uhr 40